virtuelles LampenMuseum

DITMAR History

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Dieser Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung des Wiener Stadt- und Landesarchiv (Magistratsabteilung 8) möglich geworden.

Details unter: Heft 1/2001 - Verein für Geschichte der Stadt Wien (geschichte-wien.at)

Kann beim Verein für Geschichte der Stadt Wien erworben werden.

Von "Ditmar" zu "Austria Email"

Von  der Person des Gründers und der Firma "DITMAR" kann die Weiterführung des Unternehmens unter wechselnden Bezeichnungen bis in die Gegenwart nachgewiesen werden.

Karl Rudolf Ditmar wurde am 3. Mai 1818 in Prenzlau bei Stettin (Brandenburg) geboren.


1839 kam er nach Wien. Auf einer Geschäftsreise nach Paris soll er damals die noch recht umstrittene, jedenfalls kaum funktionsfähige Feder-(Moderareur-)Lampe kennengelernt haben. Diese zu verbessern wurde schon bald sein Hauptanliegen.
Am 5. August 1840 gründete Ditmar ein Handelsgeschäft für Öllampen, Tassen und lackierte Blechwaren. Ein weiterer Schritt war die Errichtung einer Werkstätte zur Reparatur von Beleuchtungskörpern, ein nächster der Versuch, diese in eigener Produktion herzustellen.
Gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich, den er inzwischen nach Wien eingeladen hatte, führte Rudolf die Firma 1841 als "Gebrüder Ditmar" weiter. Dafür wurde eine "Landesbefugnis zur Erzeugung von lackierten Blech- und Zinkkompositionswaren" ausgestellt, womit die gesetzliche Grundlage für die erste Lampenfabrik Wiens (und Österreich) geschaffen war.

Der Betrieb befand sihc ursprünglich in der Vorstadt Erdberg, wahrscheinlich an der heutigen Erdberger Lände, wo damals nur wenige Gebäude („An der Donau“) existieren. 1844 übersiedelte er in die Hauptstraße (Erdberg 396, entspricht heute Wien 3, Erdbergerstraße 29)
1852 erwarben die Brüder ein unweit davon gelegenes Haus in der Vorstadt Landstraße (108, nach späterer Adresse: Erdbergstraße 23). Das Gebäude war ein repräsentatives dreigeschossiges Bauwerk das im Jahre 1839 errichtet wurde. Seit 1853 wurde dass Gebäude wiederholt durch Zubauten vergrößert, und diente den Firmengründern als Fabrik, Wohn und Geschäftssitz.

Inzwischen war den Brüdern  die Entwicklung der „Wiener Moderateurlampe“ gelungen, eine sowohl preiswerte als auch wegen der regulierbaren Ölzufuhr verlässlich einsetzbare Federlampe. Der internationale Erfolg ermöglichte die weitere Expansion der nach Friedrich Ditmars Tod als „Lampen und Metallwarenfabrik R. Ditmar“ weitergeführten Unternehmens. Rudolf Ditmar erwies sich auch im Alleingang als Pionier auf dem Gebiet des Beleuchtungswesens.

1860 und 1861 kaufte er weitere Häuser (Landstraße 109 und 110) dazu. In diesem Zeitraum eroberten die Petroleumlampen der Marke Ditmar den Weltmarkt, wobei planmäßig durchgeführte Verbesserungen des „Wiener Brenners“ dazu beitrugen, dass diese ausserdem preisgünstigen Beleuchtungskörper Jahrzehnte hindurch nahezu konkurrenzlos blieben. Dadurch war genug Kapital vorhanden, um den Besitz abermals zu vergrößern. Zunächst erwarb Ditmar die Häuser Erdbergstraße 26 und 28, später das an der Erdbergstraße 27 anschließende Areal Wassergasse 10 und 12 sowie das Gebäude Erdberger Lände 22. Auch der im Zuge der Stadterweiterung errichtete Neubau Wien 1,  Walfischgasse 12 wurde angekauft und als Wohn- und Geschäftshaus eingerichtet. Nun hatte Ditmar eine zweite Niederlassung in der Inneren Stadt. Die erste bestand seit 1844 und befand sich im Börsengebäude Nr. 939. (jetzt Weihburggasse 4)
Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts hatte sich die Position des Unternehmens so weit gefestigt, dass er sich zum Einstieg in die Politik entschloss. Zu der Zeit beschäftigte Ditmar bereits etwa 400 Arbeiter, die etwa zweihundert Hilfsmaschinen firmeneigener Konstruktion bedienten. Die politische Kariere begann im Bezirksauschuss, setzet sich gleichzeitig als stellvertretender Bezirksvorstand fort, und wurde 1863 in den Gemeinderat für Wien-Landstraße gewählt. Diese Funktion hatte er bis 1866 inne.

Für eine Schlüsselposition im Wirtschaftssystem der Stadt und des Landes, erkannte er bald dass geschäftlicher Erfolg alleine nicht ausreichte, sondern vor allem auch gesellschaftliches Prestige. Es erfolgten die Ernennungen zum Kommerzialrat, Kaiserlichen Rat, Hoflieferant und Mitglied der Ausstellungskommission für die Wiener Weltausstellung. Die genannten Titel und zwei Ordensverleihungen nützten dem Ansehen des Fabrikanten in den tonangebenden Wiener Kreisen. Ditmar erhielt 1863 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Orden, und wurde 1873, im Jahr der Wiener Weltausstellung, mit dem Orden der eisernen Krone (Ritter dritter Klasse) ausgezeichnet.

Schließlich gelang es ihm, durch die Übernahme zahlreicher Funktionen die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung der Monarchie entscheidend mitzubestimmen. Er wurde Gesellschafter der Firma „Centraldepot für Petroleumproduktion von Hochstetter u. Co.“, Mitinhaber der „Floridsdorfer Mineralölfabrik“ und Präsident der „Eisen- und Blechverarbeitungsgesellschaft Union“, die zu den wichtigsten Unternehmen des Landes und zudem zu den Hauptlieferanten Ditmars gehörte. Außerdem wurde er Kurator des Handelsministeriums, Abgeordneter der Handels- und Gewerbekammer, für einige Jahre auch niederösterreichischer Landtagsabgeordneter und vom niederösterreichischen Landesausschuss bestelltes Mitglied der Donauregulierungskommission. Weiters saß er im Verwaltungsrat der „Wiener Eisenbahngesellschaft“, des „Oestlichen Sparvereins“, des „Aktienvereins für Hotel- und Badeanstalten“, der „Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft“ und der „k.k. privilegierten Aktiengesellschaft der Innerberger Hauptgewerkschaft“.

Ditmar besaß seit 1879 eine Produktionsstätte in Warschau, eine weitere folgte in Mailand, außerdem gehörte ihm seit 1890 eine auf die Herstellung von Lampenständern spezialisierte Kunsttonwarenfabrik in Znaim (Tschechien). Von den zahlreichen damals errichteten Niederlassungen existierten die Filialen in Prag, Budapest, Berlin, München, Lemberg, Graz, Mailand, Rom, Triest, Paris, Lyon und Bombay noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts.

Geschäftsanzeige mit Firmenzeichen und Logo, Internationale Ausstellungs-Zeitung. Beilage zur
„Neuen Freien Presse“, 1873,
Historisches Museum der Stadt Wien,
Sammlung Pemmer

PROFITMAXIMIERUNG

In den folgenden Jahren machte der Ausbau der Firma weitere Fortschritte. Sie belieferte Nordafrika, den Fernen Osten und Nord- und Südamerika sowohl auf direktem Weg als auch über europäische Niederlassungen und Handelsvertretungen.

Weil alle für die Fertigstellung des Endprodukts notwendigen Arbeitsgänge im eigenen Betrieb durchgeführt wurden, konnte das Unternehmen solide Ausführung, ein stabiles Preis-Leistungsverhältnis und Pünktlichkeit bei der Zustellung gewährleisten. Schließlich benützte Ditmar den guten Klang seines Namens zum weltweiten Handel mit Industrieartikeln, die nicht zu seinem Produktionsgebiet gehörten. Dieses von der Lampenerzeugung unabhängige Exportgeschäft brachte den Zusatznutzen, über die neuen Kontakte potentielle Abnehmer von Beleuchtungskörpern zu finden, kam also letztlich der eigenen Firma zugute.

Ihren Aufschwung und die hohen Gewinne verdankte die „Lampen- und Metallwarenfabrik R. Ditmar“ aber nicht zuletzt den schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen.
Um bei Krankheiten, Unfällen und „in momentanen Verlegenheiten und Bedrängungen“ auszuhelfen, standen seit 1890 10.000 Gulden zur Verfügung. Dieser aus Anlass des damals gefeierten Firmenjubiläums und in Anerkennung der Verdienste der Mitarbeiter gestiftete Unterstützungsfonds war als freiwillige Leistung Ditmars zu verstehen, der damit die finanzielle Sicherstellung in
Ausnahmesituationen garantierte. Die Situation am Arbeitsplatz blieb unverändert, ebenso wenig wurde eine Anhebung der Löhne in Betracht gezogen, dessen ungeachtet aber ein hoher Arbeitseinsatz erwartet. Schließlich solidarisierten sich die Arbeiter mit den Kollegen der Wiener Lampenfabrik „Gebrüder Brünner“, von der später mehrmals die Rede sein wird.

Gustav und Ferdinand Brünner,
Biographisches Lexikon der Wiener Weltausstellung 1873.
Der Streik bei Brünner begann am 1. März 1894, bei Ditmar vier Tage später. Der „Arbeiter-Zeitung“ zufolge reagierten die Firmenchefs unterschiedlich. Während Brünner Kooperationsbereitschaft signalisierte, in Wirklichkeit aber hinhaltend taktierte, vertrat Ditmar den Standpunkt der Unternehmerseite in einer Form, die keinerlei Missverständnisse aufkommen Ließ: „Zuerst erwähnte er, daß ‚fremde Hetzer‘ sich unter seinen Arbeitern eingeschlichen haben. Diese hätten unter ihnen absolut nichts zu thun. Die Forderung nach dem neunstündigen Arbeitstag wolle er später einmal erörtern. Die Mehrentlohnung der Überstunden sei ein Unding. Es habe Zeiten gegeben, wo die Arbeiter baten, Überstunden machen zu dürfen, und er als humaner Mensch konnte dieser Bitte nicht widerstehen. Für die Arbeiter sei es eine Wohlthat, wenn sie mehr verdienen können, und es sei daher nicht recht klar, warum er für diese Wohlthat auch noch mehr bezahlen solle. Was die Lohnerhöhung anbelangt, so könne er nur betonen, daß er schon jetzt gezwungen sei, die Fabrik auf einige Monate zu sperren, er könne aber unmöglich arbeiten lassen, wenn eine derartige Erhöhung der Löhne begehrt werde.

 Man möge doch die ausländische Konkurrenz bedenken. Und in dieser Tonart ging es weiter. Selbstverständlich habe er, Ditmar, bezahlt, „was er nur konnte“, und im übrigen stehe es jedem dennoch Unzufriedenen frei, seine Beschwerden selbst vorzubringen. Deshalb sei es auch nicht einzusehen, warum sogenannte Vertrauensmänner aufgestellt werden sollten.

Der gemeinsame Streik erregte beträchtliches Aufsehen, denn es waren daran rund tausendeinhundert Wiener und Wienerinnen — siebenhundert davon bei Ditmar beschäftigt, die anderen bei Brünner — beteiligt. Allem Anschein nach wurde die Arbeit Anfang April wieder aufgenommen. Inzwischen hatten beide Firmeninhaber in Verhandlungen eingewilligt, zu deren Ergebnis allerdings keine Angaben vorliegen.

Während der letzten Lebensjahre besaß Ditmar in Heiligenstadt ein Grundstück. In das auf diesem Areal errichteten Gartenhaus (Wollergasse 2) zog er sich zurück wenn ihm die Geschäfte zu beschwerlich wurden. Bei der Führung des Betriebes unterstützten ihn in dieser Zeit sein Sohn Gerhard und der Schwiegersohn Hans Rint. Der Firmengründer starb am 22.märz 1895. Er wurde am Heilgenstädter Friedhof beigesetzt.

MIT VEREINTEN KRÄFTEN

Für den Fortbestand des Unternehmens als Familienbetrieb war vorgesorgt worden, als neuer Leiter garantierte Gerhard Ditmar für Kontinuität. Nach der Errichtung einer Niederlage in Kalkutta (1896) konzentrierte er sich hauptsächlich auf den internationalen Handel. Er lieferte Glaswaren, Porzellan und Emailgeschirr, später auch Papier und Textilien. Da er für eine weitere Expansion auf dem Weltmarkt einen geeigneten Partner benötigte, trat er mit der bereits erwähnten Firma „Gebrüder Brünner“ in Kontakt. Diese zweite große Lampenfabrik Wiens mit einem noch 1873 deutlich geringeren Umsatz als Ditmar war 1857 von den Brüdern Gustav und Ferdinand Brünner gegründet worden (Abb. 4), die damit den Grund stein für ein von ihren Nachfolgern noch weiter ausgebautes Exportgeschäft gelegt hatten. Inzwischen stand Brünner mit Russland, Frankreich, England, Griechenland, Rumänien, der Türkei, Nord- und Südafrika, Persien, Indien und Ostasien in Verbindung hatte sich also in einer Ditmar durchaus vergleichbaren Weise auf dem Weltmarkt behaupten können. Da beide Unternehmer die gleiche Verkaufsstrategie verfolgten und in gleichem Ausmaß an der Erschließung weiterer Absatzgebiete interessiert waren, benötigten sie größere Produktionsstätten und entschlossen sich deshalb zu einer Zweckgemeinschaft, die die Möglichkeit bot, ausreichend zu investieren. Die Firmen fusionierten in Form einer Aktiengesellschaft, allerdings unter Ausschluss der inzwischen zu einer eigenen Aktiengesellschaft umgewandelten Warschauer Fabrik. Die neue A.G. wurde am 21. Mai 1907 mit einem Kapital von 7 Millionen Kronen gegründet, Alexander Brünner übernahm die Funktion des Generaldirektors und Vizepräsidenten des Verwaltungsrats, Gerhard Ditmar wurde zum Präsidenten des Verwaltungsrates ernannt.

Die Partner bezeichneten sich auf Geschäftsanzeigen zumeist als „R. Ditmar, Gebrüder Brünner, A.-G.“. Ihre Produktion beinhaltete nicht nur Beleuchtungsgerät, die bereits vor 1907 von Ditmar erzeugten Petroleum-Heiz- und Kochöfen blieben weiterhin auf dem Programm, das später auch auf Gas-Kocher und Gas-Bügeleisen ausgedehnt wurde. (Abb. 5) Dementsprechend lautete der offizielle Name „Lampen- und Metallwaren-Fabriken R. Ditmar, Gebrüder Brünner, A.-G.“ und wurde während der Zeit der Monarchie mit „k.k. privilegierte“ eingeleitet.

Damals gehörten dem Gemeinschaftsunternehmen Produktionsstätten in Wien und Mailand. Außerdem standen mehrere Wiener Niederlagen zur Verfügung und die meisten der von Ditmar errichteten ausländischen Filialen. Eine weitere Niederlage (Shanghai) hatte Brünner mitgebracht. In Wien-Favoriten, wo sich Brünner bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt hatte befand sich die Zentrale. Die Fabrik war im Eckhaus Eugenstraße 6o untergebracht, der Sitz der Verwaltung und das Lager hatten die Adresse Eugenstraße 5735. Der in Wien-Landstraße gelegene Familien- und Firmenbesitz Ditmars umfasste zum Zeitpunkt der Fusion Erdbergstraße 21, 23, 25 bis 28, Wassergasse 3, 10 und 12, außerdem Erdberger Lände 2236. Der frühere Firmensitz Erdbergstraße 23 wurde bis 1909 als Filiale weitergeführt und 1910 durch einen Neubau ersetzt, die Niederlage in der Weihburggasse existierte bis 1911. Übrigens haben sich die beiden Hauptgebäude des Betriebes Ditmar, nämlich das Haus auf der Lände und die im Jahre 1900 errichtete Fabrik in der Wassergasse 3, auf einem Teil jenes Areals befunden, das heute der „Henkel Austria GesmbH“ gehört.

Auf Dauer genügte keine der bestehenden Anlagen den Ansprüchen der Firmeninhaber. Der Ankauf eines Grundstückes in Wien-Simmering, Erste Haidequerstraße, ermöglichte die Errichtung eines Industriegebäudes modernen Typs, das 1914 fertiggestellt und im selben Jahr in Betrieb genommen wurde. In Verbindung mit dem Werk in Favoriten verfügte Ditmar-Brünner jetzt über genügend Kapazität, um auf die Fabriken im 3. Bezirk verzichten zu können. Sie wurden kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges aufgelassen.

KRISE UND NEUBEGINN

Die Ereignisse der nächsten Jahre brachten den vereinigten Betrieb an den Rand des Ruins.

Das Exportgeschäft brach zusammen, die Verbindungen zu den Agenturen rissen ab, die meisten Niederlagen gingen verloren. Gegen Kriegsende sahen sich die Familien Ditmar und Brünner zum Verkauf ihrer Aktien gezwungen, die teils von der Länderbank, teils von privater Seite erworben wurden. Damit hatte Ditmar Brünner aufgehört, als Familienunternehmen zu existieren. Der Wegfall des Außenhandels gefährdete den Weiterbestand der Firma. Auf die Bedürfnisse einer eben so finanzschwachen wie zahlenmäßig geringen Käuferschicht reagierte sie mit Billigprodukten, die in den Geschäftsanzeigen des Jahres 1919 als „Massenartikel in Grau- und Kleinguß, Druck-, Stanz-, Preß- und Zieharbeiten“ beschrieben wurden. Außerdem führte Ditmar-Brünner „Beleuchtungskörper aller Art für elektrisches Licht, Gas, Petroleum, Karbid und alle sonstigen Brennstoffe“ im Sortiment, also ein in erster Linie für den internationalen Markt bestimmtes Angebot. Dafür mussten die technischen Anlagen modernisiert werden, denn hier herrschte drin gender Nachholbedarf. Vor allem war es notwendig, in die bereits zu Lebzeiten Rudolf Ditmars aufgenommene Erzeugung von elektrischem Beleuchturigsgerät mehr Kapital zu investieren als das bisher, unter den weit günstigeren Bedingungen der Vorkriegszeit, der Fall gewesen war. Nach dem Ausbau des Gebäudekomplexes Wien 11, Erste Haidequerstraße zur Haupt-lndustrieanlage übersiedelten dorthin auch die Zentrale und die Lagerverwaltung. Von den beiden Gebäuden in Wien-Favoriten wurde das kleinere bereits 1919 aufgegeben, später auch das große Eckhaus.

POLARISIERUNG

Während der Zeit der Nachkriegsinflation produzierte die Metallverarbeitende Industrie Österreichs hauptsächlich für den Export und profitierte davon, preisgünstiger anzubieten als ausländische Mitbewerber. Um diese Position auch nach der Währungsstabilisierung beizubehalten, wurden die Produktionskosten, insbesondere die Personalkosten, gesenkt. Diese Maßnahme führte zu einer rapiden Verschlechterung der Lage der Arbeitnehmer. Dem großen Septemberstreik des Jahres 1924 und seinem von sozialdemokratischer Seite als Erfolg gewertetem Ergebnis gingen mehrere Einzelaktionen voraus, darunter auch ein von den bei Ditmar Brünner beschäftigten Werkzeugschlossern veranstalteter Teilstreik. Darauf hatte die Firmenleitung mit dem probaten, damals häufig angewendeten Mittel reagiert, allen Arbeitern und Arbeiterinnen den Zutritt zum Ort ihrer Dienstverrichtung zu verbieten und ihnen für die Dauer der Aussperrung die Lohnzahlung zu verweigern.

Wie den 1925 gedruckten Inseraten zu entnehmen ist, war es Ditmar-Brünner bis dahin gelungen, einige der früheren Verbindungen zu reaktivieren, denn der Betrieb verfügte damals über Filialen in Budapest, Lemberg und Prag, außerdem über jeweils ein Verkaufsbüro in Rimske Toplice (Slowenien) und Mailand. Das Angebot entsprach in etwa dem von 1919, war aber durch die Übernahme von in an deren Unternehmen hergestellten Waren aus Messing und Bronze erweitert worden. Zur gleichen Zeit, also Mitte der zwanziger Jahre, ließ sich in Wien die Tendenz erkennen, beim Ausbau der kommunalen Beleuchtungsanlagen die Elektrifizierung gegenüber der Versorgung mit Gas zu bevorzugen. Die für die elektrische Straßenbeleuchtung benötigten Armaturen wurden bei Ditmar-Brünner hergestellt, wo man inzwischen in der Lage war, auf jede Nachfrage nach technisch ausgereiften elektrischen Beleuchtungskörpern entsprechend zu reagieren.

Für Gebiete ohne Strom- und Gasanschluss erzeugte die Firma seit 1927 Starklichtlampen, die im In- und Ausland unter der Marke „Maxim“ propagiert wurden. Dabei handelte es sich um Luftdruck-Glühlichtlampen für flüssige Brennstoffe. Die im selben Jahr unter der Marke „Demon“ herausgebrachten Petroleum-Koch- und Heizgeräte hatten den Vorteil einer speziellen Methode, die Gasflamme ruhig und sauber zu halten, waren in dieser Zeit der beginnenden Hochkonjunktur auch international erfolgreich und trugen wesentlich dazu bei, die Profitrate zu steigern.

Begünstigt vom Konjunkturaufschwung, vermehrte Ditmar-Brünner das Personal, trotzdem blieb sowohl damals als auch später die Anzahl der Betriebsangehörigen deutlich unter dem vor 1926, dem Jahr mit der bisher höchsten Arbeitslosigkeit, erreichten Stand. In der Lohnpolitik bildete die Firma keine Ausnahme von der Regel und stimmte mit anderen Unternehmen auch darin überein, die in der Nachkriegszeit übliche lndexbindung der Löhne und Gehälter nach der Währungsreform in modifizierter Form beizubehalten. Ebenso war es weit verbreitet, mit jeder Arbeitsgruppe separate Verträge abzuschließen, einige Personen aber davon aus- zunehmen und mit ihnen individuelle Regelungen zu vereinbaren. Gegen diese Vorgangsweise konnten sich die Gewerkschaften nicht durchsetzen. Dadurch hatte die Arbeitgeberseite den Vorteil, dass innerhalb der Belegschaft unterschiedliche Interessen bestanden und nur selten gemeinsame Lohnforderungen gestellt wurden. Bei Ditmar-Brünner erhielten besonders Privilegierte seit 1926 einen Stunden lohn von 1 Schilling 40, die übrigen „Professionisten“ mindestens 86 Groschen, der Durchschnittslohn betrug 1 Schilling 21. Hilfsarbeiter verdienten entsprechend weniger, aber immer noch mehr als ihre Kolleginnen. Im Jänner 1927 verlangten die Betriebsangehörigen eine generelle Lohnerhöhung um 15 Prozent und erhielten Monate später das Angebot einer wöchentlichen Zulage von insgesamt 500 Schilling, die auf etwa vierhundert von den insgesamt rund achthundert Beschäftigten aufgeteilt werden sollten.43 Als Antwort folgte der einstimmige Beschluss zur sofortigen Arbeitsniederlegung. Danach wurde von Mitte August an vierzehn Wochen lang gestreikt und trotz massiver Einschüchterungsversuche Solidarität bewahrt. Das bewies in einer Zeit nahezu unverändert hoher Arbeitslosigkeit beachtlichen Mut, zeigte aber auch das Ausmaß der Verbitterung, die innerhalb der mehrheitlich sozialdemokratisch eingestellten Arbeiterschaft über die bekannten Ereignisse des Jahres 1927 herrschte. Der Arbeitskampf endete nach der Zusage, den Stundensatz für Akkord- und Lohnarbeit anzuheben und in Hinkunft nach den Mindestlohnsätzen der Starkstromindustrie zu bezahlen. Die daraufhin ausgehandelten Gruppenverträge widersprachen abermals dem Prinzip der Gleichbehandlung, führten zu weiteren Verhandlungen und sogar zu „wilden“ Teilstreiks. Dass diese gewerkschaftlich nicht organisierten Ausstände kein geeignetes Mittel waren, um Forderungen in ihrem vollen Umfang durchzusetzen, stand von vornherein fest. Deshalb werteten es die Streikenden bereits als Teilerfolg, wenn überhaupt Zugeständnisse gemacht wurden. Beispielsweise kehrten rund hundertfünfzig Frauen, die aus Protest gegen ihre Unterbezahlung am 16. Oktober 1929 die Arbeit nieder gelegt hatten, bereits am nächsten Tag an ihre Werkbänke zurück, nachdem ihnen in Aussicht gestellt worden war ihren Stundenlohn um 10 Prozent und damit auf 77 Groschen zu erhöhen. Sich auf derartige Kompromisse einzulassen, setzte vor aus, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes Vorrang hatte. Monate zuvor war es nämlich zu zahlreichen Entlassungen gekommen, denn die während des Winters 1928/29 durchgeführte Schließung der Fabrik im 10. Bezirk hatte den befürchteten Personalabbau zur Folge gehabt. Er stand am Beginn eines Jahres, in dem sich, nicht zuletzt als Folge der in vielen österreichischen Unternehmen durchgeführten Rationalisierungsmaßnahmen, die allgemeine Arbeitslosigkeit bereits wieder der Rekordmarke von 1926 näherte. Dass diese in der nächsten Zeit bei weitem über troffen werden sollte, verunsicherte die Arbeiterschaft, machte sie zunehmend konfliktscheu und stärkte dadurch die Position der Führungsebene. Auch damit stellte Ditmar-Brünner keinen Einzelfall dar, sondern hatte eine Entwicklung genommen, die insgesamt typisch war für die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes.

Der politische Druck verstärkte sich, nachdem die 1932 gebildete Regierung Doll fuß die Einführung der Zensur, die Aufhebung des Streikrechts, das Verbot der Freien Gewerkschaften und aller nicht systemkonformen Parteien verfügt hatte45. Seitdem musste jeder, der verdächtigt wurde, kommunistische oder sozialdemokratische Druckschriften zu lesen oder zu verbreiten, nicht nur mit fristloser Entlassung rechnen, sondern auch damit, in polizeilichen Gewahrsam genommen zu werden. Zu entsprechenden Maßnahmen kam es bei Ditmar-Brünner im Jänner/ Februar 1936. Um sich des „Hochverrats“ verdächtiger Personen zu entledigen und allfällige Sympathisanten einzuschüchtern, erstattete die Firmenleitung damals mehrere Anzeigen „wegen illegaler Tätigkeit“ wobei es sicher kein Zufall war, dass zur gleichen Zeit in Wien der große Sozialisten-Prozess stattfand4 Jedenfalls wurde in der Simmeringer Fabrik das erwünschte Resultat erreicht, die vom „autoritären Kurs“ des Regimes erzwungene „Ruhe im Betrieb“ zu gewährleisten.

Die Bilanz des nächsten Jahres ergab zwar keine Dividende und einen vergleichsweise bescheidenen Betriebsgewinn, zu den positiven Ergebnissen zählten aber die weitgehende Auslastung der Betriebsanlagen und die damit verbundene Vollbeschäftigung. Zu dieser Zeit umfasste das Produktionsprogramm auch komplette Gasschutzgeräte Schmalfilmaufnahme- und Projektionsapparate sowie nach eigenem Verfahren hergestellte elektrolytische Kondensatoren für Radioapparate Der Aktienanteil der Länderbank an Ditmar-Brünner hatte bereits in den frühen dreißiger Jahren den Besitzer gewechselt und gehörte seitdem der Credit Anstalt.

 

FÜR „FÜHRER“ UND REICH
„Dann kam der 13. März 1938 und mit ihm der Anschluß an das Reich. Die Geschäftsleitung und die Gefolgschaft wurden wieder arisch und begannen, sich für die großen Aufgaben vorzubereiten, die der Einbau in das Reich nun stellte.“ So heißt es in einem 1943 veröffentlichten Artikel über die in der Firma Ditmar Brünner aus „rassischen“ Gründen durchgeführten „Säuberungen“.52 Diese hatten offensichtlich bereits kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten einge setzt und zwar gleichzeitig mit dem Beginn der in der Creditanstalt vorgenomme nen „personellen Veränderungen“, wobei dort ebenfalls mit der Führungsebene der Anfang gemacht worden war. Im selben Jahr 1938 übernahm die Creditanstalt weitere Ditmar-Brünner-Aktien und erhielt dadurch die Majorität54. Aus dem Fir menbuch Ditmar-Brünner waren die Namen des Direktors und Prokuristen Ing. KarlHumpoletz, des Präsidenten Fritz Herczka, des Verwaltungsrates Dr. Ernst Bunzl und des Prokuristen Ernst Rosenthal noch vor dem 19. April gelöscht worden
Eine im Juli 1938 angeordnete Überprüfung aller Wiener Betriebe ergab bei Ditmar Brünner den Verdacht auf „irgendwelche Causalzusammenhänge kommunistischer Prägung“5 Der Verfasser des Berichts begründete diese Vermutung mit dem bei zahlreichen Arbeitern und Arbeiterinnen festgestellten Mangel an Disziplin, für den er aber „grosse Fehler in der Menschenführung“ verantwortlich machte und des halb sogar Verständnis für die „unzufriedenen Elemente“ zeigte. Dazu erklärte er, dass bisher nur in wenigen Ausnahmefällen eine „Regulierung der tiefliegenden Löhne“ bewilligt worden sei und grundsätzlich weiterhin auf Basis des KolIek tivvertrags bezahlt werde. Weiters bemerkte er lapidar: „Der Betrieb gehörte früher einer Aktiengesellschaft, die Aktienmehrheit befand sich in jüdischen Hän den, ebenso waren auch die Betriebsführer Juden.“ Um die über siebenhundert Beschäftigten in Zukunft wirtschaftlich effizienter einzusetzen, empfahl er eine Strukturreform nach dem Vorbild der im „Altreich“ entstandenen „Betriebsgemein schaffen“. Sein Vorschlag stimmte mit den Richtlinien des nationalsozialistischen Wirtschaftsprogramms vor der Umstellung auf kriegswirtschaftliche Erfordernisse überein, die nicht nur im Fall des Unternehmens Ditmar-Brünner zu in größerem Maßstab vorgenommenen Veränderungen führen sollte.
Schon seit längerer Zeit versuchte die 1855 als „K.K. priv. österreichische Staats- eisenbahn-Gesellschaft“ gegründete, später „Privilegirte österreichisch-ungarische Staats-Eisenbahn-Gesellschaft“ genannte „STEG“, in Richtung auf die drei wichtig sten Metallwarenfabriken Österreichs zu expandieren57. Sie hatte zunächst die Warchalowski-Werke in Wien-Ottakring erworben, rund zehn Jahre später auch die Aktienmehrheit der „Actiengesellschaft der Emaillirwerke und Metallwaaren fabriken Austria“ erhalten und seitdem ihren Einfluss zur Reorganisation der „Austria“-Emaillierwerke in Knittelfeld (Steiermark) benützt. Der nächste Schritt, die Er werbung der Ditmar-Brünner-Aktien der Creditanstalt, stellte die Weichen für die im Sommer 1940 durchgeführte Aufnahme beider Gesellschaften — „Austria“ und Ditmar-Brünner — in die eigene Firma Die Staats-Eisenbahn-Gesellschaft änderte ihren Namen auf „Austria Vereinigte Emaillierwerke, Lampen- und Metallwarenfa briken Aktiengesellschaft“, eine Bezeichnung, die Traditionsbewusstsein bewies und Kontinuität signalisierte. Damit lebte „Österreich“, damals nicht existent und sogar als Terminus verpönt, wenigstens in einem Firmennamen weiter.
Da es zu weit führen würde, die Geschichte des neuen Großbetriebes zu erzählen59, soll auch weiterhin vor allem über die jetzt Werk II genannte Sim meringer Fabrik berichtet werden. Für die dort Beschäftigten änderte sich zunächst wenig, sie wurden vom „Austria“-Konzern übernommen und am 6. April 1941 als „Arbeitsjubilare“ speziell geehrt. Auch hatte man sich anlässlich der Fusion da rauf geeinigt, die gut eingeführte Marke „Ditmar“ beizubehalten und in der Geschäftskorrespondenz des Werkes als eine Art Kennwort anzuführen.
Die im Frühjahr 1939 begonnene Umstellung der österreichischen Betriebe auf die Rüstungsproduktion lief nur langsam an. Während der Vorbereitungen für den Russland-Feldzug 1941 wurden die Fabriken Knittelfeld, Wien-Ottakring und Wien Simmering in verstärktem Ausmaß für Aufträge der deutschen Wehrmacht herange zogen und schließlich voll in die Kriegsindustrie integriert Das bedeutete einer seits vermehrten Arbeitseinsatz, andererseits verstärkte Kontrolle, wobei nachlässige Ausführung ebenso als Sabotage galt wie mutwillige Beschädigung. Die Möglichkeit, ein Exempel zu statuieren, war im Werk II bald gefunden. Im Septem ber 1941 wurde ein Arbeiter bei der Geheimen Staatspolizei angezeigt danach für schuldig befunden, gegen die Vorschriften „zum Schutze der Wehrkraft“ verstoßen zu haben und zu eineinhalb Jahren Gefängnis sowie zur Übernahme der Kosten des Verfahrens verurteilt. Damit hatte er noch Glück gehabt, denn verglichen mit den üblicherweise bei derartigen Delikten verhängten Strafen war seine ungewöhnlich milde ausgefallen.
Etwa zur gleichen Zeit gestattete der Reichsminister der Luftfahrt die Errichtung und Subventionierung einer neuen Werkstättenhalle mit dem Hinweis, dass vor der „Durchführung von Aufträgen für andere Bedarfsträger“ seine ausdrückliche
Genehmigung eingeholt werden müsse. Grundsätzlich habe zu gelten, „daß die durch den Erweiterungsbau gewonnene zusätzliche Kapazität ausschließlich für die Erstellung des Bedarfs der Luftwaffe zur Verfügung gehalten wird.“ Ebenso wurde die Geschäftsführung daran erinnert, bei Verstößen gegen kriegswirtschaftliche Anordnungen die sofortige Strafverfolgung zu veranlassen. Bis November waren unter Geheimschutz aktuelle Plane der Betriebsanlage zur Genehmigung vorzulegen eines der Exemplare wurde im Februar 1942 zuruckgesandt Die dort eingezeichnete Wohnbaracke befand sich am sudlichen Ende des Industriegeländes hatte die Form eines langgestreckten Rechtecks und war etwa dreihundertfünfzig Quadratmeter groß. 67 In den Akten der Geheimen Staatspolizei wurde sie als Unterkunft von Kroaten serbischen Volkstums erwahnt von denen sich einige im Janner 1942 wegen Verdachts kommunistischer Tatigkeit“ zu verantworten hatten. Diese Gruppe von Ausländern versah ihren Dienst auf offensichtlich freiwilliger Basis, nachdem es ihr zuvor gelungen war, dem Terror-Regime der „Ustascha“ zu entkommen. Jedenfalls begann die Verwendung von zwangsrekrutierten Beschäftigten in den österreichischen Rüstungsbetrieben nicht vor Herbst 1942 •69
Anders verhielt es sich mit den Kriegsgefangenen, die im Werk II spätestens seit März 1942 zum Einsatz kamen. Einem mit 17. April 1944 datierten Lageplan zufolge waren sie nicht auf dem Fabriksgelände, sondern in der Haidestraße, zwi schen der 5. und 6. Haidequerstraße, untergebracht7l. Zum selben Zeitpunkt be fand sich das auch als „Fremdarbeiterlager“ bezeichnete „Ausländerlager“72 in der 6. Landengasse (heute: Lindenbauergasse). Es bestand aus drei unterschiedlich großen Gebäuden, deren Fortsetzung in Richtung auf die i. Landengasse (heute: Lautenschlägergasse) zu ein betonierter Splitterschutzgraben für 200 „Deutsche“ bildete. Ein weiterer betonierter Splitterschutzgraben war für 6o „Zivilausländer“ vorgesehen, ein nicht betonierter für 250 „Ostarbeiter“. Die in der Hierarchie an letzter Stelle angesiedelten Kriegsgefangenen hatten sich mit einem Deckungsgra ben zu begnügen, der Platz für 300 Personen bot. (Abb. 6)
Zwei Jahre zuvor hatte die Werksleitung die Genehmigung zur Aufstockung zweier bereits bestehender Gebäude erhalten das Personal war vermehrt die neue Abb. 6: „Austria Werk u. Lager“, Lageplan, 1944, Dietzel GmbH, Wien

Werkstätte nicht, wie ursprünglich vorgesehen, nach den „Richtlinien für behelfs mäßige Kriegsbauweise“75, sondern in stabiler Konstruktion bewilligt worden7 Wie in allen derartigen Betrieben stand die Produktion unter strengster Geheim- haltung. Inzwischen ist bekannt, dass sie von Petroleumöfen für Freilager und Zelte über Kartuschen für 8,8-cm- und lo,5-cm-Fliegerabwehrkanonen bis zur Teileferti gung für das (Raketen-)Programm A-4 gereicht hat außerdem wurden in allen drei „Austria“-Fabriken Panzerfaustköpfe und für die Wehrmacht bestimmte Kani ster und Kochgeschirre erzeugt. Auf die Fabrikation von Gasmasken hatte sich das Werk Simmering bereits vor der NS-Zeit spezialisiert und war auch noch nach dem Krieg laut Gewerbeordnung für die Herstellung von „Heeresausrüstungsgegenstän den“ und „Atemschutzgeräten jeder Art“ zuständig.

KRIEGSENDE UND WIEDERAUFBAU
Für die letzte Phase des Krieges ist der Arbeitseinsatz von Franzosen und sow jetischen Staatsbürgern belegt79, die einem eigenen Arbeitskommando unterstellt und zuvor in den Straf- und Anhaltelagern VI C, X D, XVII A und B gewesen waren. Zweiundzwanzig dieser Häftlinge fielen dem Luftangriff vom 7. Februar 1945 zum Opfer und wurden am 22. des Monats auf dem Wiener Zentralfriedhof beerdigt.
Weitere Bomben- und Artillerieangriffe verliefen allem Anschein nach unblutig, hatten aber schwere Sachschaden zur Folge. Schließlich wurde das Werk durch tage langen Artilleriebeschuss weitgehend zerstört.
Nach Kriegsende gab es weder Geld für die Wiederherstellung der Industrieanlage, noch waren Rohmaterial und Maschinen vorhanden. Dennoch lag bereits im Juni 1945 ein Konzept vor, das die Vorgangsweise bei der Behebung der Kriegsschäden und der Beschaffung von Rohmaterial regelte. Inzwischen wurde, wenn auch mit primitiven Mitteln, weitergearbeitet. Man behalf sich damit, Restbestände aus der Kriegszeit zu verwerten, stellte aus Minengehäusen kleine Vorsatzöfen her und erzeugte aus Aluminlumbehältern, die für die Verwendung an der Front bestimmt gewesen waren, Tanks für Öltransporte. Nach der Wiederaufnahme der Vorkriegsproduktion war die Fabrik Simmering einige Jahre für sanitäre Einrichtungen ausemailliertem Guss zuständigsl, ebenso aber auch für mechanisches und elektri sches Spielzeug der Marke „Ditmar“. (Abb. 7) Es gehörte seit 1947 oder 1948 zum Programms2 und wurde dem Publikum als preisgünstige Alternative zum Angebot anderer Firmen vorgestellt, die Kinder und Eltern in gleicher Weise ansprechen sollte Das Sortiment umfasste Uhrwerks-Eisenbahnen, elektrische Eisenbahnen, Metallbaukästen, Puppengeschirr, Puppenherde und „sonstige mechanische Spiel waren“. (Abb. 8) Da die Konkurrenz die bessere Technologie entwickelte und ihre Kindereisenbahnen zum geeigneten Zeitpunkt auf die später deutlich vom Käufer bevorzugte Spurweite HO umstellte, blieb der Absatzerfolg unter den Erwartungen. Somit wurde 1954 oder 1955 entschieden, mit der Erzeugung aufzuhören. Trotz dieses Fehlschlags erzielte das Unternehmen, für das sich in der Zwischen zeit der Name „Austria email“ eingebürgert hatte, beachtliche Gewinne. Die Petroleumöfen, -kocher und -lampen der Marke „Ditmar“ blieben weiterhin bedeutende Exportartikel ebenso erwies sich die Entscheidung, in der Ersten Haidequer straße den Sektor der elektrischen Beleuchtungskörper zu reformieren und der Herstellung von Straßenleuchten und Signalanlagen Priorität einzuräumen, als grundsätzlich richtig. Die inzwischen aufgenommene und 1951 nach Simmering verlegte Fabrikation von Gas-und Elektroherden wurde zwei Jahre später insofern verändert, als seitdem Ottakring für Gas-und Zusatzherde zuständig war für die gesamte Ofen-Produktion aber Simmering. Nach dieser in Zusammenhang mit der Übernahme der „Triumphwerke Ges.m.b.H.“ in Wels (OÖ) vorgenommenen Umstel lung erreichte der Konzern binnen kurzem einen Spitzenmarktanteit von 40 Prozent.
Abb. 8: Mit dem Ditmar-Logo beworbene Spielwaren, Katalog „Ditmar-Eisenbahnen“, 1952, Sammlung Katzian, Wien

 bei Gasherden und einen Marktanteil von 28 Prozent bei Elektroherden sowie von 24 Prozent bei Gasheizgeräten. Für den Verkauf stand ihm eine eigene Orga nisation zur Verfügung, die 1940 als „Ditmar-Brünner Vertriebs-Gesellschaft m.b.H.“ gegründet9° und 1946 in „Austriaemail-Ditmar Exporthandelsgesellschaft m.b.H.“ umbenannt worden war. Sie befasste sich mit dem Groß- und Detailhan del, später auch mit dem Import von Maschinen und Rohstoffen, bemühte sich aber in erster Linie um das Ausfuhrgeschäftsl. Bis 1955 gelang es, mit den Erzeug nissen der Marken „AustriaEmail“ und „Ditmar“ auf rund sechzig Exportmärkten im Nahen und Fernen Osten, in Afrika und Südamerika vertreten zu sein92 und dort etwa fünfzehn Prozent der Gesamtproduktion abzusetzen.
Unterdessen ließ die Kommunistische Partei nichts unversucht, die Belegschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der Propaganda dienten maschinenschriftlich verviel fältigte Betriebszeitungen, die in den fünfziger und sechziger Jahren unter ver schiedenen Namen kursierten. Parallel zum offiziellen Organ des Unternehmens, der „Austria-Post“, erschien „Der Austria Scheinwerfer“, dessen Kritik ausschließ lich die Situation in der Simmeringer Fabrik betraf. Die Begleitumstände bei Schichtdienst und Überstundenleistung wurden als unzumutbar dargestellt, eben so auch der Zustand der sanitären Anlagen und die Belüftung in der Abteilung für Emaillierung. Vor allem aber kam es immer zu wieder zu Unmutsäußerungen über die Bezahlung. Erklärungen der Firmenleitung — „wir müssen mit unseren Erzeug nissen billiger werden, nur so können wir konkurrenzfähig bleiben oder werden und unsere Arbeiter beschäftigen“ — wurden als bloße Schutzbehauptung abge tan, in Wirklichkeit herrsche, so meinte der „Scheinwerfer“, die „Raubtierpolitik des Profits“.94 Der Arbeitgeber argumentierte mit freiwillig erbrachten sozialen Lei stungen nahm aber das 1955 gefeierte Firmen.iubiläum zum Anlass für eine all gemeine Lohnerhöhung9 Dazu stellte der „Scheinwerfer“ fest, gemessen am Reingewinn des Unternehmens werde immer noch zu wenig bezahlt. Inzwischen hatte er allerdings entscheidend an Terrain verloren und wurde noch im selben Jahr eingestellt. GRENZEN DES WACHSTUMS
1955 galt der Wiederaufbau als abgeschlossen. Die „Austria email“ verstärkte ihre
Bemühungen um das Auslandsgeschäft, benötigte aber wegen des damit verbun-
denen Risikos kaum kalkulierbarer Faktoren eine weiterhin solide Position auf
dem Inlandsmarkt. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, die Produktionspla-
nung mit anderen Firmen, die die gleichen Waren herstellten, zu koordinieren9
revidierte sie abermals das Programm. 1958 wurde Simmering die gesamte Herd-
Erzeugung übertragen9 wo sie neben der Fabrikation von Dauerbrandöfen einen
weiteren Schwerpunkt darstellte99. An zweiter Stelle standen Beleuchtungsgerät,
Zweiformat-Schmalfllmprojektoren und Schul- bzw. Vortragsprojektoren.b0 Sich mit
diesem Angebot im verschärften Wettbewerb durchzusetzen, erwies sich als un-
möglich.b01 Es gab Absatzschwierigkeiten bei den Dauerbrandöfen, der Gussanteil
der Produktion sank, die Ausfuhr der Marken-Artikel „Ditmar“ stagnierte wegen
der Importrestriktionen auf den traditionellen Exportmärkten. Dementsprechend
war die Zahl der in der Simmeringer Fabrik Beschäftigten konsequent rückläufig.b02
Ende 1964 stellte die zuständige Behörde die mangelhafte Beachtung feuerpolizei.
licher Vorschriften festbo3, forderte wiederholt deren Befolgung und kündigte
schließlich „weitergehende Auflagen und Bedingungen“ an, um für die Anrainer
„unzum utbare Auswirkungen der Betriebsanlage“ auszuschließenbo4. Da sich von
den bisher in der Ersten Haidequerstraße durchgeführten kostspieligen Maßnah-
men keine auf Dauer amortisiert hatte, wurde allerdings schon seit einiger Zeit die Rentabilität einer Weiterführung bezweifelt1 und deshalb die weitere Entwick lung abgewartet. Dringender Handlungsbedarf war gegeben, als sich die Folgen der allgemeinen Wirtschaftsflaute des Jahres 1967 bemerkbar machten. Sie führten zur Entscheidung, das inzwischen schwer defizitäre Werkbo7 aufzulassen‘° woran vor allem die Creditanstalt in ihrer Eigenschaft als Hauptaktionärin des Konzerns interessiert war. Am 12. Februar 1968 stimmte die staatliche Wirtschaftskommis sion der Schließung zu, ebenso gab der Österreichische Gewerkschaftsbund seine Einwilligung. Der Verlust von über 500 Arbeitsplätzen wurde zwar bedauert, ent sprach aber der von Industrie und Wirtschaft vorgegebenen Linie des „Gesund schrumpfens“ und der damals verstärkt propagierten Abkehr vom „Wachstums fetischismus“.hbo
Nach der im selben Jahr erfolgten Stillegung des Betriebeshhl kaufte die Stadt Wien das gesamte Areal mit Vertrag vom 23. Dezember 1969112. Damals waren von der insgesamt etwa 43.600 m großen Fläche mehr als 19.000 m noch unverbaut.h13 Die Liegenschaft wurde am i. April 1970 von der Stadt Wien übernommenul4 und danach in vier Bauplätze unterteilthl5. Einer davon wurde von der WIBAG (Wiener Betriebsansiedlungsgesellschaft) erworben, die anderen drei von Firmen, die bis heute bestehen, nämlich der Dietzel GmbH (i. Haidequerstraße 3-5), der Vöslauer Heilqueltenverwertungs AG (i. Haidequerstraße 7 bzw. Haidestraße 3) und der Schiff & Stern KG (Haidestraße 3a)h1 Der nördliche Teil des ehemaligen „Austria email“-Geländes blieb längere Zeit über ungenützt, bis er schließlich von derStadt Wien angekaufthl7 und zur Erweiterung des unmittelbar angrenzenden Kraft werkes Simmering (i. Haidequerstraße i) verwendet wurde.
Währenddessen versuchte die „Austria email“, die Folgen des US-Dollar- und Pfund-Verfalls in den Jahren 1971 bis 1974 zu minimieren.h1 Obwohl die „Austria email-Ditmar Exporthandelsgesellschaft m.b.H.“ noch 1970 im Wiener Adressbuch aufscheinthl9, hatte sie mit Wirkung vom i. Jänner dieses Jahres aufgehört, als selbständige Verkaufsorganisation zu bestehenh2o. Sie war in der „Austria Vereinigte Emaillierwerke, Lampen- und Metallwarenfabriken Aktiengesellschaft“ aufgegan gen, die erst seit 1972 offiziell „Austria email Aktiengesellschaft“ hieß.121 Trotz der Namensänderung wurde die Produktionssparte Beleuchtungsgerät beibehalten, die Tradition Ditmar-Brünner also auf diesem Gebiet weitergeführt.
Ergänzend bleibt anzumerken, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die „AE Austria Außenleuchten und Entsorgungssysteme GmbH“ als Ditmar-Brünners Nachfolgerin fungiert, eine 1998 aus der „Austria email“ ausgegliederte, in Wien beheimatete Firma Die dort aufbewahrte Sammlung dokumentiert die seit den Jahren der „R. Ditmar-Gebrüder Brünner A.G.“ durchgeführten Veränderungen des Warenangebots, mit denen auf die jeweils aktuellen ästhetischen und praktischen Bedürfnisse mutmaßlicher Käufer reagiert worden ist.